Zukunft der Liebe zwischen Mensch und Maschine
Im Oscar preisgekrönten Film HER von Spike Jonze verliebt sich der Protagonist allmählich in sein Betriebssystem. Ist das die Zukunft der Liebe? Erstaunlicherweise kann sich fast die Hälfte der unter Dreissigjährigen in der Schweiz eine emotionale Beziehung zwischen Mensch und Roboter vorstellen.
Es klingt absurd: Ein Mensch aus Fleisch und Blut verliebt sich in eine Maschine. Doch genau das sieht David Levy voraus. Seine 2007 auch als Dissertation an der Universität Maastricht (im Alter von 62 Jahren!) eingereichte Studie „Love and Sex with a Robot“ untersucht die Voraussetzungen und Bedingungen dazu. David Levy ist kein verrückter Science-Fiction Freak. In den 60er Jahren hat er sich einen Namen als erfolgreicher Schachspieler geschaffen (u.a. schottischer Schachmeister 1968, Mitglied des Schach-Olympia-Teams 1972 in Skopje). Zugleich beschäftigte er sich intensiv mit Computerwissenschaft und Künstlicher Intelligenz. 1968 ging er eine berühmt gewordene Wette ein, wonach es binnen zehn Jahren selbst dem besten Schachcomputer dieser Zeit nicht gelingen würde, ihn zu besiegen. Levy gewann die Wette mühelos. Allerdings war die Unterlegenheit des Computers im Schachspiel gegen einen Menschen nur vorübergehend. Bekanntlich schlug 1997 der IBM Schachcomputer Deep Blue den Grossmeister Geri Kasparov in der Revanche vernichtend (und stürzte Kasparov damit in eine tiefe Krise). David Levy also, ein kritischer Geist was die Leistung von Künstlicher Intelligenz betrifft, zeigt sich überzeugt, dass Menschen und Maschinen dereinst emotionale Beziehungen eingehen werden.
Es gibt die technische und die psychologische Seite zu unterscheiden. Auf der psychologischen Seite spielen Simulation, Immersion und Projektion die entscheidende Rolle:
Eine Maschine – sei es ein Programm oder ein in der Gestalt menschenähnlicher, androider Roboter – muss nicht Emotionen empfinden können. Es reicht aus, das sie Gefühle gut simulieren kann. Simulation – so tun als ob – genügt in vielen Fällen, dass Menschen eintauchen in eine nicht reale Welt und sie trotzdem irgendwie als wirklich erleben, also sich aufregen, trauern oder zum Lachen gebracht werden. Immersive Erlebnisse schaffen nicht erst ausgeklügelte Computer-Spiele, wenn gleich sie darin einen vorläufigen Höhepunkt finden. Mit der Datenbrille auf dem Kopf, in einem Umfeld, das physische Aktionen wie Stösse und Vibrationen aus dem Spiel in die reale Welt übertragen (Kinect und darüber hinaus), gehen Computer-Spieler ihrer Mission nach und vergessen dabei nicht nur alles um sie herum, sie bemerken zudem kaum mehr die Technik, die ihnen erst zum Erlebnis verhilft.
Um in eine virtuelle Welt ganz und gar abzutauchen, braucht es nicht viel Technologie. Immersion ist bereits, wenn ein Leser eines Romans gefesselt von einer Geschichte, mit der Heldin des Romans mitfiebert und mitleidet. Dass die Empfindung durch eine (simple) Technologie, dem Buchdruck, vermittelt wird, kann mühelos ausgeblendet werden. Eine erstaunliche Leistung menschlicher Phantasie und Vorstellungskraft, bedenkt man, dass es sich im Grunde nur um ein mit Buchstaben bedrucktes Papier handelt.
Am Beispiel des Lesers ist hinreichend demonstriert, dass der Mensch unter Umständen gänzlich von der Technologie als Medium absehen kann. Er blickt durch die technische Vermittlung einfach hindurch und taucht in eine andere Welt ein, die gleichwohl eine Erlebniswelt darstellt. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer emotionalen Beziehung kommt eine weitere Leistung des menschlichen Wesens hilfreich dazu: Die Fähigkeit, eigene Wünsche und Vorstellungen in andere hinein zu projizieren. In der Psychologie der Liebe ist die Projektion ein bekanntes Phänomen. Besonders Verliebte zeigen eine erstaunliche Blindheit gegenüber realen Gegebenheiten des Angebeteten und sehen stattdessen im Geliebten das, was sie vorher als Projektion selbst in ihn oder sie hineingelegt haben. Projektion funktioniert auch bestens gegenüber den geliebten Haustieren, denen menschliche Züge ohne weiteres zugesprochen werden.
Simulation und Projektion ermöglichen nicht nur Kindern emotionale Bindungen zu Gegenständen (z.B. Teddybären) einzugehen. Im Alltag zeigen auch Erwachsene immer wieder emotionale Beziehungen zu Gegenständen wie Autos, Schuhe, Smartphones und Tablets. Zu welcher Steigerung wird es in der Beziehung zu Dingen erst kommen, wenn die Dinge situativ angemessen antworten werden? Uns in eine Konversation verwickeln können? Uns zum lachen bringen?
Der Film „HER“ zeigt auf, wie sich eine solche Beziehung langsam entwickeln kann, welche Aspekte, die uns in einer Beziehung wichtig sind, eine intelligente Maschine simulieren kann, aber auch wo die Grenzen sind. Zuerst räumt das Betriebssystem lediglich die Daten-Unordnung des Helden auf. Es erinnert Theodore (so sein Name im Film) an Termine, schlägt Restaurants vor, übernimmt das Buchen von Reisen – und zwar immer angepasster an die Wünsche und Vorstellungen des Menschen, die es Stück für Stück zu erkennen lernt. Künstliche Intelligenz zeichnet sich dadurch aus, dass sie selbständig dazu lernt. Nach einer gewissen Zeit kennt das System daher seinen Besitzer bzw. seine Vorlieben und Wünsche. Irgend einmal im Film bringt das Betriebssystem den Helden zum lachen. „Warum lachst du?“, will das Betriebssystem mit der sympathischen Frauenstimme wissen? Er antwortet, dass sie etwas Lustiges gesagt habe, dass sie Humor habe. „Das also ist Humor?“, entgegnet das System und lernt dazu. Zusammen lachen können gilt für viele Menschen ein wichtiges Attribut einer Beziehung.
Ich finde HER subtil erzählt, nicht nur weil der Film zeigt, wie sich so eine absurde Liebesgeschichte entwickeln könnte, sondern auch, weil er die Grenzen aufzeigt. Der Versuch, die fehlende Körperlichkeit jenseits von an Telefonsex mahnende Übungen zu realisieren, in dem die Maschine eine andere Kundin auf eine Weise in die „Beziehung“ einführt, dass die beiden Menschen zusammen Sex haben sollen, im Ohr aber mit dem virtuellen Liebespartner verschlungen sind, scheitert. Theodore kann nicht. Und noch ein weiterer Aspekt macht Schwierigkeiten: Das Gefühl der Exklusivität. Theodore fragt, mit wie vielen anderen Samantha noch in Kontakt ist. (Quotes hier nachzulesen) Die Antwort: „8’316.“ „Und bist du noch in jemand anderen verliebt?“ Samantha (so nennt Theodore sein Betriebssystem) zögert, sie wisse nicht, wie sie es ihm sagen soll. Theodore insistiert: „Wie viele?“ Samantha: „641.“ Theodore ist erschüttert.
2050: Perfekte Simulation möglich
Das Gespräch mit einer Maschine ist heute alles andere als befriedigend. Alle iPhone-Besitzer, die mit Siri reden, kennen dies aus eigener Erfahrung. Gemäss David Levy liegt darin noch das grösste Hindernis. Bis eine Konversation mit Künstlicher Intelligenz reibungslos verläuft, wir uns dabei unterhalten, es lustig finden, Freude daran haben und sogar intellektuell herausgefordert werden können, werde es noch bis 2040 oder 2050 dauern, sagte Levy in einem Interview (ab Minute 14:40)mit London Futurists. Ebenso wenig sind Roboter im „Touch and Feel“ heute auch nur annähernd menschenähnlich. Allerdings gibt es verschiedene Zwischenstufen, die es immer weniger absurd erscheinen lassen, dass die Beziehung von Mensch zu Maschine/Roboter eine emotionale Dimension bekommt. Beispielsweise entwickelt der Kondomhersteller Durex unter dem Titel „Die Zukunft des Vorspiels“ Unterwäsche für sie und ihn, welche mit Sensoren und Aktoren ausgestattet sind. Über das Internet können damit zwei aufgeschlossene Turteltäubchen sich gegenseitig über das Internet physisch stimulieren. Die Steuerung geschieht über eine Smartphone-App, die er für sie und sie für ihn bedient. Wenn zugleich die Skype-Bildschirm-Leitung steht, kann das Vorspiel beginnen (hier ein Video, und noch eins). Irgendeinmal wird unter Umständen auf der anderen Seite kein Mensch sondern eine Maschine sein.
Parship.ch hat mich diesen Sommer eingeladen, einige Fragen zu einer repräsentativen Umfrage unter 1000 erwachsenen Schweizern beizusteuern. Ich war gespannt zu sehen, ob sich die Befragten für die Zukunft eine Beziehung zu Künstlicher Intelligenz vorstellen können. Während wenig erstaunlich über 60% es sich nicht vorstellen können, war umgekehrt ein Drittel der Meinung, dass dies in Zukunft möglich sein könnte. Sie verwiesen auf die bereits innige Beziehung, die Menschen zu Smartphones und Tablets pflegen und konnten sich Lebensumstände (Einsamkeit) vorstellen, in denen die Beziehung zu einer Maschine wie im Film HER gezeigt eine Lösung sein könnte. In Zukunft dürfte die Anzahl jener, die sich eine emotionale Beziehung zu einer Maschine vorstellen können, deutlich zunehmen. Von den unter Dreissigjährigen, also der Digital Natives kann es sich gemäss der Parship-Studie nämlich schon fast die Hälfte vorstellen! Dieser hohe Anteil hat mich überrascht.
Ist der Befund ein Grund zu einem Kulturpessimismus? Ich befürchte nicht, dass die Mensch-Maschinen-Liebe die Mensch-Mensch-Liebe ersetzen wird. (So wenig wie ich davon ausgehe, dass die Gesellschaft „versingelt“.) Wer die Wahl hat, wird auch in Zukunft den Menschen aus Fleisch und Blut vorziehen. Aber David Levy sagt mit recht: Wer die Wahl hat, einsam zu sein (weil er krank ist, nicht aus dem Haus kann, oder warum auch immer) oder einen intelligenten Begleiter zu haben, zu dem er eine emotionale Beziehung aufbauen kann, der wird vielleicht das Letztere bevorzugen. Und damit sich selbst etwas Gutes tun. Mit einem Augenzwinkern bedauert Levy in seiner Technologie-Folgeabschätzung allerdings die jungen Männer der Zukunft, die befürchten müssen, dass ihre Angebetete die (technisch) absolut perfekte sexuelle Befriedigung als Massstab nehmen könnte. Denn eine smarte Technologie, welche Millionen von Sensor-Daten zum perfekten Höhepunkt analysiert und daraus die massgeschneiderte Handhabe entwickelt hat, könnte tatsächlich ein „perfekter“ Liebhaber sein.
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